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Nachtgebet

Aus tiefster Höhe

Ich wachte auf, als die äußersten Planeten anfingen, ihre schrundigen Leiber aufzublähen.
Ganz so, als wenn sie plötzlich unter einem enormen inneren Druck standen.
Getrieben von dumpfer, deprimierter Enttäuschung.
Gesickert aus verstoßenen Atomen,
verklumpten Cluster verdrängter Materie,
befolgt von verbogenen Naturgesetzen.
Hier draußen, im Reich des Äußersten, formten ihre von verfrorenen Sternen zerrissenen Münder meinen Fluch: Zurück.
Milliarden von Zeitverschwendungen korrigieren.
Hinab.
Deinen Gott in das dunkle Loch zurückstopfen, aus dem ihn ein gleichgültiges, zufälliges Universum geschissen hat.
Die schwarze Materie zwischen den Galaxien zerriss und mit ihr mein Band zu den toten Sternen meiner letzten Zuflucht. Vertrieben mit der schrecklichsten Last, die ein Verräter nur tragen kann: Vernichtung.
Mein Sturz begann.
Die ersten 1000 Jahre durch die schwarze Einöde der Unerreichbarkeit. Schwärzer als das Garnichts. Massive Leere. Unertragbarer Schrecken.  
Die letzten 1000 Jahre durch sternengefüllte Räume. Einige voll mit lärmenden Tumulten, andere stiller als jede Vorstellungskraft erlaubt. Nur mit Geduld zu ertragen.   
Dann ... Atmosphäre. Die Geschwindigkeit meines Sturzes fiel im gleichen Maße wie die Temperatur stieg. Meine Gedanken wurden wieder schneller, zielgerichteter.
Mein Judaswille geschehe.
Kein Reich komme.
Das kalte schwarze Licht meines Gemüts wich einem herrischen Blau. Das Durchstoßen der Haut, so dünn wie mein Gesicht im Ofen des Vergehens. Ich versteckte meinen kosmischen Verrat hinter einem geschmolzenen Lächeln und tauchte ein.
In deine Welt.  
Unter mir sah ich die Lichter der Städte, eingegraben unter schwarzem Land. Graue, leblose Türme, vollgestopft mit dünner Scheiße, Mühsal und ewigem Krieg.
Angefüllt mit grauen, leblosen Seelen, ausgestopft mit tönender Hoffnung, bedrohender Vergänglichkeit und höhnischer Liebe.
Alles stürzte auf mich ein.
Rasend schnell.
Ich überdauerte die Sekunden der Erkenntnis.
Dann kam der Aufschlag. Überraschend.
Eine vermüllte Sackgasse, an einem gleichgültigen Abend, in einer namenlosen Stadt ohne Aussicht. Ich hörte das Knacken meiner Schädelschale auf dem nassen Asphalt. Spürte wie das Glas aus den Fenstern sprang. Verwundert lag ich mit dem Gesicht nach unten in einer Pfütze aus idiotischer Selbstzerstörung, kriechender Bestürzung, würdevoller Rücksichtslosigkeit und starrte den Dreck unter meinen Fingernägeln an.
Das Ende hatte bereits seichte Seen des Blutes auf der unberührbaren Schicht weißen Marmors unter meiner Haut gebildet, als deine Hand mich berührt. Mich auf den Rücken dreht. Deine Haare fallen dir ins Gesicht, als du dich zu mir herunter beugst. Neben mir in der kalten Pfütze nächtlicher Einsamkeit kniest. Ich sehe wie deine Lippen sich bewegen, doch ich höre nichts. Vielleicht verstehe ich dich auch nur nicht. Doch das ist egal. Ich sehe die tanzenden Spiegellichter unbeteiligter Leuchtreklamen auf den Dächern deiner Tränen vorbeiziehen. Rieche dein bittersüßes Lächeln verschenkter Hoffnungslosigkeiten in der orbitalen Nähe deines wärmenden Atems.    
Kurz kommt mir der Gedanke, dass hier bleiben kann. Hier bei dir. Wie verrückt.     
Als ich schwer verwundet nach deiner Hand taste, um nicht alleine zu sterben, sehe ich die Dunkelheit mit schwarzen Flügelschlag über dir am Himmel stehen. Sie ist mir gefolgt. Wie die Flut verklebten Insekts. Gewaltige bleiche Planeten, umklammert von verkeilten Ringen, eingeklemmt im mitleidlosen Dunkel hirnrissiger Kosmen.   
Mein Sturz ist noch nicht zu Ende.
Die Gegenwart vorbei.  
Ich versank im Dreck unter meinen Fingernägeln. In die Moleküle des Schmutzes vergangener Taten. Finster, feucht. Immer weiter hinab in den funkelnden Abgrund der Teilchen. Endloses Atomgitter der Kleinheit, so viele Millionen Jahre tiefer als mein gesamter Sturz zuvor.
Nanoeske Ruhe in der sich endlos auffächernden Weite der elementaren Ordnung. Hier, tief unten, schien sich alles vor einem völlig klaren Sinn zu verneigen. Alles ganz einfach.
Die geordneten Galaxien der Quarks rasten durch mich hindurch, die endlosen Alleen der Strings geleiteten mich weiter hinab, in das letzte, noch nicht denkbare Nichts, das alles zusammen hält.
Bis jetzt.
Ich hörte wie die leeren Planeten am anderen Ende der Dimension mit einem grotesken Ächzen zum Stillstand kamen.
Ich atmete ein letztes Mal aus und zerstörte damit jeglichen innersten Zusammenhalt der Dinge. Und während mir endlich der Wille ausging, konnte ich die Kettenreaktion sehen. Wie sie emporschoss, zurück an die Oberfläche. Durch die Straßen der Städte knisterte. Die Atmosphären löschte. Die Bahnen der Planeten gerade bog. Die enttäuschte Unendlichkeit von Gottes Erschöpfung erklärte.  
Milliarden letzter Gedanken. Dahin.
Ein letztes unerklärliches Seufzen der Evolution
und die Welt endete
in nichts als ...
Stille.

 

©jenz dieckmann 2021