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Aus: "Die totale Verkommenheit und andere Miniaturen des täglichen Defekts" mehr Info/Kaufen

Sterben wie die Fliegen

Endlich Ruhe. 

Hier unten. 

Endlich kamen die Dinge zum Stehen. 

All die unzähligen Geschosse aus uranverkleideten Mündern, aus den endlosen geraden Lebensläufen millionenfacher Dummheit. Nur schwer zu ignorieren, in mühsam verhärtetem Gewebe, unmöglich von außen zu sehen, geschweige denn zu entfernen. 

Abgeschossen um zu töten. 

Abgeschlossen um zu verweilen.

Als ich anfing die schmutzigen, steilen Treppen hinunter zu steigen, taumelte ich noch mit hochgezogenen Schultern, mit hochgezogener Rotze im Hirn, irgendwie froh gehen zu dürfen. Doch je tiefer ich stieg, desto mehr fing ich an zu laufen, schneller. Der Sog nach unten schien stärker zu werden. Treppenflucht ohne Absatz. Ohne Windung. Ohne Wendung. 

Nur hinab. Hinab ins Erdinnere. Ein zärtlicher Hauch von Erdwärme. Geborgendheit unter Erdplatten. Eurasisch. Verhakt. Irgendwie. Angekommen...

Hier hockte ich nun seit Stunden und versuchte zu vergessen. Vergessen, die Gesellschaft zurückgelassener, unerträglicher Qualen. Sich gegenseitig aussaugend, wie ein Rudel Zecken auf einem toten Wirtsplaneten. Verschendet. Alle Talente. Zum Fenster rausgeschissen. 

Verfüttert an die Millionen verfetteter Fliegen. Schwärmend. Ihre kleinen erbärmlichen Flügelchen konnten sie kaum in der Luft halten.

Selbst vergessen. Fällt schwer.

Sie haben ja keine Schuld. Neiiiin. Ihnen hat es ja auch nie gefallen, fremde Scheisse zu küssen. Aus Ärschen, die sie nie gesehen haben, weil sie zu weit oben waren um jemals auf Grundeis zu gehen. Ihnen hat es auch nie gefallen ihren schwer verdienten Scheissdreck anderen Leuten ins Gesicht schmieren zu müssen, nur damit man das versprochene Glück der Überlegenheit auskosten durfte.

Immer auf der Jagd nach dem nächsten, fetten Batzen. 

Dann. 

War Schluß damit. Hier unten.  

Die Hoffnung tropfte hier so leise aus spitzen Ärschen, so dünn, dass es schon nicht mehr als Verzweiflung durchgeht. Nur noch als Verdauung. Das ist Natur. Nimm n Tablette Schatz.

Erschöpft lehnte ich meine Stirn an die kühle, klebrige Tür. Hier hörte ich das ferne Singen des letzten, unausgestorbenen Vogels tief im Inneren eines vermüllten Walds. In mir. Als letzter seiner Art hockte er dort irgendwo, versteckt in unerreichbaren Kronen, deren Äste in erhabener Vergangenheit zusammenklebten. Er war dort zu Hause. Und er sang so traurig. Schön.  

Meine müden Augen suchten die nackte lichtgefüllte Birne über mir. Zu weit. Auf den Wänden, die sich in direkter Anlehung an meine Schädeltruhe in die dämmrige Höhe zu schieben schienen, stand dein Name. Hundertfach. Gesehen. Schon. Jetzt plötzlich, hier unten, eingegossen in statischer Ruhe stürtzten die unschuldigen Buchstaben in mein Gemüt und kehrte die Polung jeder noch so kleinen Zelle unter meiner Außenhaut um. Mit zärtlich gebrochenen Fingernägeln versuchte ich die achtlos dahin gekrickelten Buchstaben von der Wand zu kratzen. Sie vor all dem an den Wänden herablaufendem Zweifel zu retten. Einfach mitnehmen, einfach so. Die schuldigen Splitter meiner unfähigen Nägel rieselten leise zu Boden. Versagt. 

Ich konnte das kommende Unheil hören. Ein kriechendes kochendes Brodeln, wie aus zerfetzenden Hydrauliköladern tief in den Eingeweiden des startenden Jumbojets, der mich aus der Stadt bringen sollte. Genauso! Fatal.

Es kam näher. Zusammen mit einer besonders fetten Alphafliege tropfte es aus den feige vor sich hinbrummenden, tanzenden Leibern über meinem versengtem Haupt herab. Zu schnell für meinen ermüdeten Augen umkreiste mich die Fliege eine Weile, wie um zu checken in welcher meiner Öffnungen ihre Brut die größen Überlebenschancen haben würde, dann setzte sie sich schließlich auf meinen Oberschenkel und starre mich an. 

Mit ihren Millionen Augen. 

Eine Millionen mal dieser gelackte, insektoide Stumpfsinn. Den Tod vor Augen. Eine Millionen mal. Zum Kotzen.

Es war wie ein Reflex. Eine scheiss Ausrede.  

Ich hörte das totbringende Pfeifen meiner eigenen Hand in der abgestanden Luft, als sie wie ein apoklayptischer Gnadenhammer pfeilschnell herabjagte und den Fliegeleib mit einem trockenen Klatschen zerquetschte. Welch großartige Macht. Ich schloss meine Hand und schmiess mir den toten Leib mit einer leidenschaftslosen Bewegung in den Mund. 

Das wars.

Meine heilige Ruhe neigte ihr Dornenhaupt tief in die urinale Pfütze am tiefsten Punkt der gestürzten Kathedrale und nahm einen puren Schluck vom Chaos.

Der winzige Fliegenleib tauchte ein, wie die erlösende Zündpille in das Meer aus Unterwasserminen inmitten meines Leibes. Schlagartig stürmte mir der Schweiß aus allen Poren und mit ihm erbrach sich der Abgrund meines Daseins in einen pyroklastischen Senkrechttsunamie vor dem Herrn. Die Last meines Gemüts, ergebene Synchronität meines Gedärms. Endlich. 

Im Flutlicht meiner Erlösung kam ihr Ende. Sie fielen einfach alle tot von der Decke. Sie starben wie die Fliegen. Konsequent gleichgeschaltet und ohne viel Zögern. Fast schon mutig. Der ganze Schwarm. Ich höre das dümmliche Prasseln ihrer kleinen, steifen Leiber auf meinem umspannenden Knochendach. Doch der dankbare Beat des angnehm softe Trommelns auf meinen treibenden Gedanken veränderte sich unmerklich. Er wurde härter. Gnadenloser. Duldungsfreier. Wie Faustschläge auf einer verschlossenen Tür. Das wärmende Vakuum um mich herum zerbrach. Die Realität schnellte auf mich zu, wie die Brücke auf einen zurückkehrenden Bungeejumper. Nur das meine Brücke unten war.   

 „Eh du Schwachkopf. Biste eingepennt oder was?!? Du bist hier auf ner Party. Ich muss auch mal.“

Ich wünschte es wäre Krieg. 

Hier. 

In der unentdeckten Galaxie des verrückt gewordenen Astronauten. In dem unzugänglichen Seitental des einsamen Wolfs. Hinter der von innen verschlossenen Klotür des Aussenseiters.

Ich zog ab.

 

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